Betreuung zuhause durch Care-Migrantinnen
Wie kann der wachsende Betreuungs- und Pflegebedarf älterer Menschen in der Schweiz trotz Fachkräftemangel gedeckt werden? Der Einsatz von Care-Migrantinnen kann eine Lösung sein, wenn die Arbeitsbedingungen fair sind und wenn der Einsatz mit der professionellen Spitex gut koordiniert wird.
Teil 1
Wegen des demografischen Wandels nimmt der Pflege- und Betreuungsbedarf für ältere Menschen in den nächsten zwanzig Jahren laufend zu. Bis 2040 wird die Zahl der über 65-Jährigen um 52 Prozent und die der über 80-Jährigen um 88 Prozent steigen. Viele ältere Menschen möchten so lange wie möglich in ihrem gewohnten Umfeld bleiben, auch bei Pflegebedürftigkeit. Aktuell erhalten etwa 10 Prozent der zu Hause lebenden Personen ab 65 Jahren Unterstützung im Alltag. Eine Studie der ZHAW von 2020 schätzt die Kosten für eine bedarfsgerechte Betreuung zu Hause auf 4,2 bis 5,6 Milliarden Franken pro Jahr. Ungefähr 75 Prozent des Betreuungs- und Pflegebedarfs wird von Angehörigen der betagten Menschen übernommen. Meist sind es Partnerinnen und Partner sowie Kinder, welche diese Care-Arbeit oft bis an die Grenze der Belastbarkeit leisten.
Wie können Care-Migrantinnen diesen Bedarf decken?
Manche Angehörigen greifen zur Entlastung auf sogenannte Care-Migrantinnen aus dem Ausland zurück, die meist aus Ost- oder Südeuropa kommen. Care-Migrantinnen werden als schnelle Lösung bei fehlender Betreuung durch mehr oder weniger seriöse Agenturen vermittelt.
Die Care-Migrantinnen wohnen für einige Wochen bei der älteren Person im Haushalt und stehen rund um die Uhr für Betreuung und haushaltsnahe Dienstleistungen zur Verfügung. Diese Praxis, Live-in-Care genannt, ist jedoch aufgrund der häufig prekären Arbeits- und Lebensbedingungen der Care-Migrantinnen oft problematisch. Einerseits wird Live-in-Care als Lösung für Fachkräftemangel und Entlastung von betreuenden Angehörigen gesehen, andererseits sind die Arbeitsbedingungen der Care-Migrantinnen oft unfair und sie leben häufig isoliert. Die Angehörige müssen sich selbst in einer belasteten Zeit mit verschiedenen schwierigen Fragen auseinandersetzen. Sie wissen nicht, ob die Qualität und Sicherheit der Betreuung erreicht werden. Die Angehörigen fragen sich auch, wie sich die Betreuung durch eine Care-Migrantin auf die Lebensqualität der betreuten Menschen auswirken wird.
Eigentlich sollte die Anstellung von Care-Migrantinnen staatlich geregelt sein. Ein Bundesgerichtsbeschluss von 2021 hält fest, dass die Kantone für diese Tätigkeit Normalarbeitsverträge erlassen müssen, in denen die Arbeitszeit und die Arbeitsbedingungen geregelt werden. Eine Analyse des Bundesamtes SECO von 2022 zeigte, dass nur neun Kantone diesen Beschluss bereits umsetzen.
Kann Live-in-Care gewinnbringend für alle sein?
Live-in-Care ist ein globales Phänomen und schon lange bei uns in der Schweiz angekommen. Care-Migrantinnen können eine Lücke in der Betreuung zu Hause schliessen. Bei fairen Bedingungen profitieren alle Beteiligten. Wenn ihr Beitrag mit professioneller Unterstützung als Teil des häuslichen Betreuungsnetz gesehen wird, können die Qualität und Sicherheit der Betreuung zuhause zunehmen und damit auch die Lebensqualität der älteren Menschen verbessern.
Dies kann gelingen, wenn faire Bedingungen in der Live-in-Care gemeinsam mit professionellen Diensten wie der Spitex, Anbietern wie Caritas, Entlastungsdiensten und anderen Institutionen gestaltet werden. Forschungsprojekte der ZHAW und der Berner Fachhochschule setzen sich dafür ein. Damit ein Gewinn für alle Beteiligten möglich ist, ist eine frühzeitige Auseinandersetzung, wie und wo wir im Alter betreut werden wollen unerlässlich. Ebenso unerlässlich sind Informationen zu den Dienstleistungen des Versorgungsnetzes und der Care-Migrantinnen. Innerhalb des Betreuungsnetzes sind klare Vorstellungen der Zuständigkeiten, Informationsfluss und Verantwortlichkeiten als Grundlage für Sicherheit und Stabilität der Versorgung wichtig. Dies erhöht die Qualität von Live-in-Care und kommt den betreuten Personen und ihren Angehörigen, aber auch den Care-Migrantinnen selber zugute.