4 min 11. Apr 2024 Kultur

Aufhören oder Weitermachen?

Im hohen Alter nehmen Kräfte und Energie spürbar ab. Wann sollen wir aufhören mit anspruchsvollen Tätigkeiten? Isolde Schaad behandelt diese Frage literarisch differenziert in reizvollen Geschichten, während zwei andere Autoren klare, aber einfache Antworten geben.

Von Peter C. Meyer

Isolde Schaad erzählt in ihrem Buch «Das Schweigen der Agenda», wie sie auf einem Plakat einen «weisshaarigen Kopf mit verwitterten Zügen und Gitarre» sieht, der sich als John Mayall herausstellt. Schaad stösst das ab. Er war ein Blues-Idol in ihrer Jugend. Und heute? Soll er aufhören? Soll auch die Autorin Schaad aufhören? Wann? Sie lässt sich schonungslos auf diese Fragen ein und sucht keine einfachen Antworten.

Bluesmusiker John Mayall im Alter von 37 und von 90

In einer anderen Geschichte fantasiert Schaad über den amerikanischen Schriftstelle Philip Roth, der als 79-Jähriger beschloss, nicht mehr zu schreiben. Wie könnte nun sein Tagesablauf aussehen: Spät aufstehen, gemütlich frühstücken, spazieren, faulenzen, nichts tun. Ruhestand eben. Wollen wir das?

Aktiv und engagiert bleiben
Ludwig Hasler hat dazu in seinem Buch «Für ein Alter, das noch was vorhat» eine klare Antwort: Auch ältere Menschen können und sollen noch was unternehmen, aktive Freizeit, Freiwilligenarbeit, Ehrenamt oder auch weiterhin erwerbstätig sein. Er vertritt damit die Haltung der aktiven Senior:innen. Nur geht das nicht ewig. Im höheren Alter, für viele etwa ab 80, nehmen Kräfte und Energie spürbar ab – vor 100 Jahren begann das schon mit 65 oder noch früher. Wir hören mit einigen Tätigkeiten auf, weil sie für uns zu anstrengend, zu gefährlich oder einfach nicht mehr attraktiv sind. Beim Autofahren ist das geregelt: Ab 75 braucht es eine ärztliche Überprüfung der Fahrtüchtigkeit. Bei den meisten anderen Tätigkeiten sind wir unsicher, wann wir aufhören wollen oder sollen. Wir sind irritiert, wenn Hochaltrige so tun, wenn sie noch jung wären.

«Auch der nicht enden wollende Mick Jagger gefiel mir nicht. Wenn er in seiner provokant lasziven Ledrigkeit vor den Teenies im Hallenstadion herumstakte. Ich rümpfte die Nase, als eine Kollegin fragte: Kommst du mit? Der alte Knabe ist immer noch auf Achse. Nein. Auf keinen Fall.

Und ich ging in mich, um nach den Gründen zu fragen, weshalb diese Oldies, die mich früher begeistert haben, heutzutage anwidern, besonders wenn sie sich in ihrer Erfolgsgeilheit vor der Jugend produzieren»

(Isolde Schaad. in: Das Schweigen der Agenda, S. 13f.)
Mick Jagger, Sänger der Rolling Stones im Alter von 23 und von 80

Was wir ältere Menschen im Moment und in Zukunft tun, steht nicht mehr so stark im Vordergrund. Der grösste Teil des Lebens liegt hinter uns. Wir erinnern und erzählen uns Vergangenes. Schaad zeigt in einigen Geschichten ihres Buches, dass dabei Unerwartetes auftauchen kann: Zum Beispiel falsche Vorstellungen über liebe Menschen, die von neu entdeckten Dokumenten oder Gesprächen mit Freund:innen korrigiert werden. Die Vergangenheit bleibt lebendig: sie wird neu gesehen und interpretiert. Schaad ist eine Meisterin der Reflexion über Vergangenes, auch wenn das Resultat nicht eindeutig ist.

Das Lebensende verdrängen
In den Geschichten von Schaad erleben wir die ständige Ambivalenz von Erinnerungen und Entscheidungen. Sie lässt die Schwierigkeiten eines gelingenden Lebensendes zu – im Gegensatz zu Hasler, der frisch-fröhlich das Jung- und Fit-Sein der Alten propagiert und dabei keine Unsicherheit zulassen will. Das mag für längere Zeit funktionieren, aber es ist eben doch ein Wegschauen vom Lebensende, ein Nicht-Wahrhaben Wollen, dass es zu Ende gehen wird, dass wir früher oder später aufhören müssen; mit sportlichen Tätigkeiten, mit Leistungen, und gewiss eines Tages auch mit dem Leben.

Es ist später, als du denkst
Rolf Arnold vertritt eine ganz andere Haltung in seinem Buch «Es ist später, als du denkst». Er konfrontiert ältere Menschen, die ihr Altsein verdrängen. Sie identifizieren sich mit der Stigmatisierung des hohen Alters identifizieren und hängen deshalb der Hoffnung «Forever Young» nach. Sicher hat er recht, dass im hohen Alter nicht mehr alles möglich ist. Aber ich finde Arnold doch zu pessimistisch, zu negativ. Auch er scheut die Ambivalenzen, die Unsicherheiten. Da bleiben wir doch lieber bei der ehrlichen Unsicherheit, wann wir mit was aufhören wollen und ob uns Erinnerungen täuschen, wie dies Schaad meisterhaft in ihren Geschichten illustriert.

Erwähnte Bücher:
Isolde Schaad: Das Schweigen der Agenda. Limmat Verlag 2023 https://www.limmatverlag.ch/programm/titel/944-das-schweigen-
der-agenda.html


Ludwig Hasler: Für ein Alter, das noch etwas vorhat. rüffer&rub Verlag 2019
https://ruefferundrub.ch/buecher/zeitfragen/item/625-fur-ein-alter-das-noch-was-vorhat

Rolf Arnold: Es ist später, als du denkst. Hep Verlag 2017 https://www.hep-verlag.ch/es-ist-spaeter-als-du-denkst


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