4 min 6. Apr 2023 Freizeit

Kurzgeschichte – Lieber Jassonkel

Wir sind vier Senioren und Seniorinnen, alle schon über achtzig, also eine Risikogruppe, und treffen uns seit Jahren am Dienstag und Freitag zu einem Jass. Zum Glück hat der Bundesrat die Beschränkung wegen dem Corona-Virus auf max. fünf Personen festgelegt. Wir vermuten, er hat daran gedacht, dass es zum Jassen vier braucht. In Deutschland haben sie Ansammlungen von mehr als zwei Personen untersagt. Da wäre ja kein Schieber mehr möglich. Der Regierende Bürgermeister von Berlin hat explizit gesagt, dass auch auf eine Skat-Runde zu verzichten sei. Wir sind einmal mehr froh, in der Schweiz zu leben.

Autor: Tony Ettlin

Mir ist klar: Nachbarschaftsbesuche wären eigentlich nicht mehr erlaubt, ausser für lebensnotwendige Massnahmen. Wir zählen unsere Jassrunde dazu und wir wohnen nahe beieinander. So schafft es auch Sepp mit seinem Rollator. Auch an die Abstandsregeln halten wir uns. Wir haben unseren Jasstisch ausgemessen. Nun wissen wir, dass wir normalerweise zwischen einem Meter zwanzig und einem Meter fünfzig auseinander sitzen, je nachdem wie stark wir uns vorbeugen beim Einsammeln eines Stichs, oder beim Spielen eines Bocks. Und genau das macht die Hanni am stärksten. Sie ist eine temperamentvolle Frau und kommt so richtig in Fahrt, wenn sie gute Karten hat. Wir haben nun einen grösseren, runden Tisch angeschafft, so dass die Minimaldistanz immer zwei Meter beträgt, auch seitwärts zum Gegner. Weil nun aber Hannis kurze Arme nicht mehr ganz bis zur Tischmitte reichen, so sehr sie sich auch vorbeugt, hat sie sich eine Art Rechen besorgt, wie ihn die Croupiers im Spielcasino verwenden. Damit kann sie sich den Stich, den sie gemacht hat, heranziehen. Manchmal verwendet sie den Rechen auch, um dem Gegner, das bin dann meistens ich, den verlorenen Stich zuzuschieben, zusammen mit ihrem ganzen Ärger.

Seit zwei Wochen tragen wir Schutzmasken. Rosmarie stellt sie aus ihrem Vorrat zur Verfügung, den sie sich im Januar angelegt hat. Sie ist eben eine weitsichtige Person. Sie habe noch tausendachthundert am Lager. Das sollte für rund fünf Jahre reichen und ob wir dann noch jassen, wissen wir nicht. Rosmarie hat herausgefunden, dass wir die Masken auch mehrmals gebrauchen können. Hanni nimmt sie jeweils mit nach Hause und wäscht sie mit neunzig Grad. Aus Solidarität haben wir nun die Hälfte des Vorrats an das Kantonsspital geschickt. Die brauchen die Masken jetzt dringender als wir.

In der Zeitung haben wir gelesen, dass das Virus auf Karton bis zu vierundzwanzig Stunden überleben kann. Wir haben sofort einen Vorrat an Jasskarten angelegt, bevor sie knapp werden. Nun spielen wir immer mit einem Set, das wir mindestens eine Woche nicht gebraucht haben. Rosmarie lagert die Karten in der Zwischenzeit im Tiefkühler. Wir tragen zum Jassen jetzt auch Gummi-Handschuhe, die ich sonst zum Abwaschen brauche und Sepp putzt die Schiefertafel nicht mehr mit der Zunge.

Du siehst: Wir befolgen die Vorschriften von Bundesrat Berset sehr genau. Sepp mit seinem Asthma, Rosmarie mit den Krampfadern und ich mit meinem Raucherhusten gehören ja mehrfach zu den Risikogruppen. Und Hanni hat es im Rücken, muss also beim Nachvornelehnen aufpassen. Deshalb haben wir auch nichts gegen den Rechen und sind einfach froh, wenn sie nicht zu gute Karten hat.

Nun aber zu unserem Problem, dem Grund, warum ich dir schreibe: Bei unserer letzten Runde am Dienstag waren Rosmarie und ich nahe am Gewinnen. Es fehlten uns noch 38 Punkte. Wir zählen den Obenabe und Unenufe dreifach und Schellen und Schilten doppelt und es gilt Stöck, Stich, Weis. Nun hat Sepp, der wegen ein paar fehlender Zähne eine etwas undeutliche Aussprache hat, eine Ansage gemacht, die wir, also Rosmarie und ich, klar als „Une“ verstanden haben.

Durch die Schutzmaske war es schon oft vorgekommen, dass eine Ansage nicht klar durchkam, aber dieses Mal waren Rosmarie und ich sicher. Er spielte den Schilten-Under, ich stach ihn mit der Schilten-Sechs und bedankte mich, da wir so schon 39 Punkte auf sicher hatten. Sepp riss sich fassungslos die Maske vom Gesicht und behauptete, er habe zuerst „Schilten“ gesagt und dann „Hundert“. Hanni bestätigte, dass sie das auch so gehört habe, aber da Hanni eh nicht mehr so gut hört, zweifelten wir an ihrer Aussage. Auf jeden Fall brachen wir das Spiel ab und gingen ziemlich sauer nach Hause.

Nun meine Frage: Gibt es im Jassreglement eine Aussage dazu, was in so einem Fall gilt? Wenn nicht, beantrage ich, dass ein neuer Zusatz für Ausnahmesituationen in Zeiten des Corona-Virus eingefügt wird, z.B. „Wird durch das Tragen einer Schutzmaske eine Ansage von der gegnerischen Partei falsch verstanden, wird das Spiel nicht gewertet und muss wiederholt werden.“

Danke im Voraus für deine Bemühungen und eine hoffentlich klärende Antwort vor dem Freitag.

Mit herzlichem Gruss
Heiri

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