Virtual-Reality-Brillen

Ein Stuhl ist ein Stuhl. Oder eben doch nicht? – Das Schlaganfall- und Sturzrisiko nimmt mit zunehmendem Alter exponentiell zu. In der Rehabilitation werden traditionelle Ansätze in der physiotherapeutischen Behandlung zunehmend mit neuen Technologien ergänzt.

Teil 3

Von Daniel Baumgartner

So sind heutzutage bereits Virtual-Reality-Brillen im Einsatz, welche mit Hilfe einer virtuellen 3D-Umgebung ein realitätsnahes Therapie-Setting schaffen. Die Patient:innen erhalten damit ein Feedback, mit dem sie die Präzision ihrer Bewegung in Echtzeit überprüfen – und sogleich optimieren können. 

Szene aus dem Projekt «Holoreach» der ZHAW: Ein auf einer mobilen Sitzfläche sitzender Proband trainiert mittels Greifbewegungen seine Rumpfstabiliät. In der Realität wird der Apfel virtuell dargestellt und der Therapeut befindet sich im Hintergrund. Foto: ZHAW

Das wahrscheinlich bekannteste robotisch assistive Trainingsgerät ist der Lokomat: eine Gangmaschine, welche geschädigten Personen das Gefühl des Gehens näherbringt. Die Patient:innen sind in einem sogenannten Exoskelett eingespannt, welches die Beinbewegungen mit Hilfe von Motoren nachahmt und so die Beine mobilisiert. Auf einem Bildschirm wird ihnen die Umgebung vermittelt, sei es in der Natur, beim Wandern oder in der Stadt. Ähnliche Formen gibt es für die Arme, welche mittels game-orientierter Therapie wie beispielsweise Fenster putzen oder
kochen rehabilitiert werden.

Reha-Training im Sitzen?
Während es für die oberen und unteren Extremitäten ausreichend Möglichkeiten der Reha gibt, wird die Balance und Kontrolle der Rumpfstabilität eher hintergründig behandelt. Es hat sich allerdings gezeigt, dass sich ein funktionales, selektives Rumpftraining nicht nur auf die Stabilität beim Sitzen, sondern grundsätzlich auf verschiedene Alltagsbewegungen wie Gehen und Greifen positiv auswirkt.

Bisher hat man Rumpfstabilitätsübungen in der Frühphase nach Schlaganfall in sitzender Position gemacht. Allerdings ist die Mobilität des Beckens und der Wirbelsäule beispielsweise auf der Bettkante sehr eingeschränkt. Die Verwendung des Sitzballs braucht schon eine sehr hohe Körperkontrolle und die Unterstützung und Absicherung durch Physiotherapeut:innen.

Holoreach – neuartiges Rumpftherapie-Konzept
Alternativ dazu wurde ein Therapiekonzept entwickelt, welches den Rumpf auf einer seitlich verschiebbaren Sitzfläche mobilisiert. Die kreisrunden Bahnen ermöglichen ein Rotieren des Beckens – ähnlich wie beim Salsa-Tanzen. Die Bewegungen des Hüftschwungs werden eins zu eins in Echtzeit auf eine Reality-Brille übertragen und zur Ansteuerung von verschiedenen Games genutzt. So kann man beispielsweise ein virtuell neigbares Labyrinth aktivieren, durch das man den Ball durchlotsen soll. In einem anderen Game wird über die Sitzflächen-Bewegung ein Flugzeug gesteuert. Dabei wird der Oberkörper zu einem menschlichen Joystick, der die Rumpfmuskeln aktivieren lässt.

Daniel Baumgartner ist Leiter des Schwerpunkts Biomechanical Engineering an der ZHAW School of Engineering sowie Mitglied im Kernteam von AGe+ Angewandte Gerontologie an der ZHAW.

Anwendung im Rahmen einer selbstständigen Heimtherapie?
Im Rahmen einer ersten Machbarkeits-Studie in Zusammenarbeit mit der Klinik Valens wurde die Therapie als positiv empfunden. So könnten sich zwei Drittel der Proband:innen vorstellen, die Therapie nach einem stationären Aufenthalt in der Klinik auch zu Hause weiterzuführen. Dies wäre von Vorteil, da aktuelle Studien zeigen, dass auch sogenannte «auskurierte», chronisch beinträchtige Personen eine signifikante Besserung der Mobilität durch ein intensives Training erreichen können.

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