5 min Ausgabe Nr. 2 | 2023

Neue Wohnformen

Wie wollen ältere Menschen in Zukunft leben? Eine Umfrage in der Stadt Zürich zeigt ein grosses Interesse an neuen Wohnformen, die «Cluster, Wohngemeinschaft und Grosshaushalt» genannt und im Artikel beschrieben werden.

Bericht von Nina Scheu

Altersdurchmischte Wohngemeinschaft: wer in WG will, findet hier seine Zukunft
Foto: Swisslife

Die Generation, die derzeit ins Pensionsalter kommt, hat in ihrer Jugend mit neuen Wohnformen experimentiert. Viele lebten als junge Erwachsene in Wohngemeinschaften, die nicht bloss Mittel zum Zweck – der Verbilligung der Miete – waren, sondern bewusst mit dem traditionellen Familienmodell brachen. Nicht nur Wohnzimmer, Küche und Bad wurden geteilt, sondern auch die Ideologie, die Kindererziehung und mancherorts sogar die Schlafzimmer. 

Aus diesen oft radikalen Anfängen sind zahlreiche neue Wohnmodelle gewachsen, die in den vergangenen Jahren vielerorts auf unterschiedliche Weise umgesetzt wurden. Die bekanntesten Beispiele in der Stadt Zürich sind die Häuser der Genossenschaften Karthago, Kraftwerk1, Kalkbreite und Mehr als Wohnen. Es gibt jedoch auch andere, weniger bekannte Projekte, wie Nena1, die Genossenschaft Dreieck oder die Altersgemeinschaft Schreberweg am Zürichberg. Sie alle unterscheiden sich bezüglich der Schwerpunkte, die das Zusammenleben bestimmen. So fasste man beispielsweise in den Häusern an der Kalkbreite und an der Zollstrasse zur Verminderung der Isolation kleinere Studios zu Clustern zusammen und bietet neben einem Mix aus unterschiedlichen Gemeinschaftsflächen, Kleinwohnungen, Wohngemeinschaften und Grosshaushalten auch Unterstützung für Wohngemeinschaften älterer Menschen an. 

Wie möchten Sie wohnen?
Bereits im Mitwirkungsverfahren der städtischen «Altersstrategie 2035» von Zürich zeigte sich, dass «eine gute Wohnsituation im Alter» ganz oben auf der Wunschliste vieler Zürcherinnen und Zürcher steht. Was das genau bedeutet, wurde allerdings kaum zum Thema. Die Stiftung Alterswohnungen der Stadt Zürich (SAW), die verteilt über die ganze Stadt 34 Wohnsiedlungen mit rund 2000 Wohnungen anbietet, hat sich mit dieser Frage intensiv beschäftigt. Die SAW hat sich dazu verpflichtet, nebst dem Bau von deutlich mehr kostengünstigen Alterswohnungen im Rahmen von Neubauten und Sanierungen, neue gemeinschaftliche Wohnformen zu erproben und ihr Wohnangebot entsprechend zu erweitern.

Was also ist aus den Vorstellungen der einstigen Jugendlichen aus den siebziger und achtziger Jahren geworden? Welche ihrer Ideen wurden – wie ihre damaligen musikalischen Präferenzen – von der Mehrheitsgesellschaft längst übernommen, und welche erwiesen sich als Fehlschläge? Auf wie viele Quadratmeter wären sie heute gewillt zu verzichten, um von grösseren Gemeinschaftsflächen profitieren zu können? Und welche Annehmlichkeiten sind für sie unabdingbar? Um dies herauszufinden, hat die Stiftung Alterswohnungen SAW im vergangenen Sommer zweitausend über 55-Jährige aus allen Stadtkreisen zu einer grossen Umfrage eingeladen.

Generationendurchmischtes Wohnen in eigenen Wohnungen
Grafik: anamorph.ch
 

Grosses Interesse an neuen Wohnformen
Rund 500 Personen haben die Online-Umfrage ausgefüllt. Aus den 482 gültigen Antworten wird deutlich, dass die Mehrheit in einer generationendurchmischten Umgebung wohnen möchte. Nur 24 Personen wünschen sich, ausschliesslich mit anderen Seniorinnen und Senioren zusammenzuleben. Am wichtigsten sind den Befragten Merkmale, die beim Bau von SAW-Siedlungen schon immer berücksichtigt wurden, wie die Nähe zu öffentlichen Verkehrsmitteln und Einkaufsmöglichkeiten bei gleichzeitiger Anbindung an grüne Erholungsräume. 

Das Interesse an neuen Wohnformen ist gemäss Umfrageergebnissen unerwartet hoch. Die Initiative der SAW, neue Wohnformen zu evaluieren und in Workshops mit Interessierten weiter zu vertiefen, entspricht also dem Zeitgeist. Selbstverständlich bedeutet ein generelles Interesse nicht, dass ein allfälliges Angebot auch tatsächlich in Anspruch genommen würde. Im konkreten Fall tendieren viele Menschen dazu, konservativer zu entscheiden als in einer unverbindlichen Umfrage. Zudem spielen bei der Wahl einer Wohnform viele Faktoren mit: die Lage der Wohnung, ihr Grundriss, die Zusammensetzung der Mieterschaft, der Zeitpunkt und manchmal sogar das Stockwerk oder die Farbgebung der Treppenhäuser, Küchen und Badezimmer. 

Gemeinschaftlich Wohnen im Trend
Über die Hälfte der Befragten möchte im Alter in einer gemeinschaftlichen Wohnform leben. Die meisten davon in einem Cluster oder in einem Grosshaushalt. Im Vergleich hat die klassische Wohngemeinschaft etwas an Attraktivität verloren, was vielleicht an der Erinnerung an die Macken ehemaliger Mitbewohner/-innen liegt. 

Wie unterscheiden sich Cluster, Wohngemeinschaft und Grosshaushalt? Antwort dazu in den drei Info-Boxen

Das grosse Interesse an gemeinschaftlichen Wohnformen erklärt sich teilweise mit der grossen Zahl der Alleinstehenden: Rund zwei Drittel der Befragten sind entweder ledig, geschieden oder verwitwet und möchten nach einem erfüllten Berufsleben womöglich weiterhin viele Kontakte im täglichen Umfeld pflegen. Knapp die Hälfte von ihnen, 44 Prozent, lebt derzeit alleine, während 8 Prozent schon jetzt in einer gemeinschaftlichen Wohnform leben. 

Nachdenklich stimmt die Tatsache, dass 10 Prozent angeben, wegen einer geplanten Sanierung bald umziehen zu müssen, während fast doppelt so viele ihre momentane Unterkunft zu teuer finden. Und das, obwohl mehrheitlich gut gebildete und somit finanziell eher besser Gestellte die Umfrage ausgefüllt haben. Hier liegt denn auch eine Schwäche der Umfrage: Trotz eines Unterstützungsangebots für Fremdsprachige ist es nicht gelungen, Migrantinnen und Migranten oder auch tiefere Bildungsschichten anzusprechen. 

Zukunftsmusik
Die Ergebnisse der Umfrage wurden in partizipativen Workshops analysiert und werden nun weiterentwickelt, damit sie in die Planung zukünftiger Bauprojekte der SAW einfliessen können. Einige Pilotprojekte sind bereits in der Pipeline. Im Ersatzneubau Werdhölzli werden drei Clusterwohnungen für je sechs Personen realisiert. Und für die Siedlung Felsenrain ist in enger Zusammenarbeit mit der Stiftung Wohnungen für kinderreiche Familien ein Generationenwohnen Tür an Tür geplant. Als ergänzendes Angebot für Hochaltrige entsteht zudem Raum für zwei Pflegewohngruppen. Dazu kommen gemeinschaftlich nutzbare Innen- und Aussenräume, angedacht sind auch ein städtischer Kindergarten sowie ein kleineres Gastronomieangebot. Die SAW nutzt also die politische Forderung, ihr Wohnungsangebot in den nächsten zehn Jahren um die Hälfte zu vergrössern, auch zur Diversifizierung des Angebots. Denn eines hat die Altersstrategie deutlich gemacht: Die Wünsche und Entwicklungsmöglichkeiten der Menschen sind bis ins hohe Alter nahezu unbegrenzt. Die SAW blickt der Zukunft gespannt und voller Vorfreude entgegen.

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