4 min 27. Sep 2023 Freizeit

Engagement älterer Menschen in der Nachbarschaftshilfe

Die organisierte, formelle Nachbarschaftshilfe vermittelt freiwillig Helfende mit Menschen, die Unterstützung suchen. Tania Berchtold ist seit zehn Jahren Vermittlerin der Nachbarschaftshilfe in Zürcher Stadtkreis 6 und berichtet hier über ihre Erfahrungen.

Von Tania Berchtold

Praktische Nachbarschaftshilfe beim Einkaufen

Glücklich ist, wer in der Nachbarschaft Personen kennt, die bei Bedarf zu Hilfe kommen können. Diese spontane, informelle Hilfe steht aber nicht immer oder nur sehr begrenzt zur Verfügung. Hier springt die organisierte, formelle Nachbarschaftshilfe ein.

Die formelle Nachbarschaftshilfe (NBH) ist eine niederschwellige Art, um Unterstützung zu bitten, was vielen Menschen – und besonders der älteren Generation – schwerfällt. Nebst sporadischen und einmaligen Anfragen und Einsätzen entstehen Beziehungen bei den regelmässigen Besuchen, weil immer die:der gleiche Freiwillige kommt. Diese Konstanz wird von beiden Seiten sehr geschätzt. Nicht selten wird mir nach Jahren berichtet, dass dies eigentlich keine «Einsätze» mehr seien, sondern freundschaftliche Kontakte. Dank der NBH werden auch Angehörige entlastet und es ist eine Ergänzung zu bezahlten Diensten. 

In der formellen NBH vermitteln Vermittler:innen die Einsätze. Darüber hinaus stehen sie auch als Ansprechperson bei Missverständnissen, verändernden Umständen und als Vernetzungs-Drehscheibe zu weiteren Unterstützungsangeboten wie Spitex, Pro Senectute, Fahrdienste, Beratungsstellen zur Verfügung. In der Stadt Zürich gibt es mittlerweile 14 quartierbezogene NBHs, welche miteinander vernetzt sind. Auf der Website www.nachbarschaftshilfe.ch findet man auch weitere Nachbarschaftshilfen ausserhalb der Stadt Zürich.

Tätigkeiten der Senior:innen in der NBH
Senior:innen stellen eine sehr heterogenen Gruppe dar: im Alter von 60 bis 100  Jahren, von sehr vielbeschäftigten, engagierten, fachkompetenten, noch erwerbstätigen bis hin zu körperlich, psychisch und/oder geistig eingeschränkten, einsamen Menschen. Oft wechselt die Funktion so um den 80. Geburtstag von Freiwillige:r zu Nutzer:in. Das Schöne an der NBH ist, dass immer beides möglich ist, gleichzeitig in einem Bereich Nutzer:in und in einem anderen Freiwillige:r zu sein. Es ist ein Geben und Nehmen, jede:r bringt sein Wissen und seine Ressourcen ein, unabhängig vom Alter. 

Freiwilligenarbeit geleistet wird mehrheitlich im Bereich Gesellschaft, Begleiten, Tierbetreuung und Aufgabenhilfe. Hilfe wird in einem breiten Spektrum angeboten: von „Ersatzgrosseltern“ über administrative Hilfe genauso wie Hilfe im digitalen und handwerklichen Bereich. 

Nachbarschaftshilfe als Begleitung und Unterstützung 

Senior:innen brauchen meistens praktische Hilfe im Bereich Haushalt/Handwerk/Garten (dazu gehört Tierbetreuung/Pflanzen giessen/Einkäufe tätigen/Hilfe bei Umzug/Entsorgung/ kleine Reparaturen etc.). Auch Gesellschaft leisten (regelmässige Besuche, Gespräche, gemeinsame Spaziergänge, Vorlesen) wird nachgefragt. Ausserdem Begleitung zu Ärzt:innen, Einkäufe mit Auto oder ÖV und digitale Unterstützung. Das erfolgreiche Pilotprojekt „Schwamendingen Digital“ wird ab Oktober 2023 auf alle NBHs der Stadt ausgeweitet.

Hilfe bei Einsamkeit
Ein grosses und stetig zunehmendes Thema ist die Einsamkeit, nicht nur bei Senior:innen, dort jedoch in erhöhtem Mass. Egal ob noch allein in einer Wohnung oder in einem Alterszentrum: das fehlende soziale Netz, Familie, die wenig Zeit hat, weiter weg lebt oder nicht mehr vorhanden ist, Freunde und Bekannte die „wegsterben“. Die zunehmende Schnelllebigkeit und gesundheitliche Einschränkungen verstärken das Gefühl der Einsamkeit. Zum Glück wird dies vermehrt enttabuisiert und die Menschen trauen sich früher, sich zu melden, wenn auch oft erst mit einem „Vorwand“ und dem Wunsch nach Unterstützung beim Einkaufen, wobei sich dann schnell zeigt, dass der anschliessende gemeinsame Kaffee mit Gespräch viel wichtiger ist. 

Motivation der Freiwilligen
Oft ist der Wunsch nach Zugehörigkeit der Motivator, sich als Freiwillige:r zu engagieren, ebenso wie das Bedürfnis nach Sinn und sich nützlich zu machen. Freiwilligenarbeit hilft, sich im Quartier zu vernetzen, da dies in der Berufstätigkeit zu kurz kam. Nebst den Einsätzen mit „ihrem Nutzer:in“ bietet diese Aufgabe die Möglichkeit, Gleichgesinnte kennen zu lernen und an den Freiwilligen-Weiterbildungen und -anlässen Inspiration und Austausch zu geniessen. Es gibt Sicherheit, zu wissen, dass man im Notfall selbst auch um Unterstützung fragen kann. Zudem wird geschätzt, dass jede:r selbst bestimmen kann, welcher Einsatz für ihn/sie passt. Eine Freiwillige brachte ihre Motivation wie folgt auf den Punkt: «Ich habe Austausch mit Menschen, denen ich sonst nie begegnen würde und kann echte Hilfe leisten.»

Nachbarinnen die sich gegenseitig helfen sind Freundinnen geworden

Nachbarschaftshilfe-Stellen in Quartieren der Stadt Zürich
Die 14 Nachbarschaftshilfe-Stellen der Stadt Zürich vermitteln nachbarschaftliche Hilfe und fördern Kontakte im Quartier. Sie koordinieren insgesamt rund 1 500 Freiwillige. 
Ausführliche Infos hier: https://www.nachbarschaftshilfe.ch/

Literaturhinweis: Peter C. Meyer, Monica Budowski (Hrsg.): Bezahlte Laienhilfe und freiwillige Nachbarschaftshilfe. Informationen zu diesem Buch: https://www.seismoverlag.ch/de/daten/bezahlte-laienhilfe-und-freiwillige-nachbarschaftshilfe/

Tania Berchtold ist Vermittlerin der Nachbarschaftshilfe im Zürcher Stadtkreis 6

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